Wahlpflichtgruppe Geschichte bei LH Anton Mattle

von BORG Innsbruck
02. Mai 2023

Wenn der Landeshauptmann in das Gauleiterzimmer einlädt:
Die Wahlpflichtgruppe Geschichte der 8. Klassen auf Spontanbesuch bei Anton Mattle

Am Nachmittag des 26. 4. trafen wir uns am Landhausplatz, um uns das Pogromdenkmal, das Befreiungsdenkmal und das ehemalige Gauhaus (Neues Landhaus) näher anzuschauen und uns mit der äußerst spannenden und komplexen Geschichte dieses Ortes auseinanderzusetzen.

Wir starteten bei der 1997 errichteten und von einem 19-jährigen HTL- Schüler entworfenen Menora und besprachen die besonders brutalen Ereignisse der Novemberpogrome in Innsbruck, im Zuge derer vier Juden ─ Richard Berger, Richard Graubart, Josef Adler und Wilhelm Bauer ─ ermordet wurden. Am 10. November 1938 kamen außerdem die aus Garmisch geflüchteten Jüdinnen Klara und Lotte Kohtz, Mutter und Tochter, ums Leben, als sie sich aus Verzweiflung in den Inn stürzten und ertranken.

Die zweite Station bildete der einzige nationalsozialistische Repräsentativbau Tirols, das 1938/39 errichtete Gauhaus. Hier sahen wir uns die beiden Wappen von Tirol und Vorarlberg an der Ostfassade an, die noch an den gemeinsamen Gau erinnern, und verglichen dann die Gebäudefront mit Fotos von der Reichskanzlei in Berlin, die den Tiroler Architekten als Vorbild gedient hat. Während wir gerade Zitate aus der Rede des Gauleiters Franz Hofer lasen, die er während des Spatenstichs 1938 vortrug, wurden wir von Landeshauptmann Anton Mattle angesprochen und begrüßt, der zu einer Kranzniederlegung am Befreiungsdenkmal eilte.

Unsere Überraschung war groß, als er nach der Zeremonie noch einmal auf uns zu kam und uns ins Landhaus einlud. Er führte uns in das ehemalige Zimmer des Gauleiters, das gerade renoviert wird. Die Holzdecke „zieren“ noch nationalsozialistische Schnitzereien wie die Darstellung des Totenkopfs, des Sonnenrads oder des Reichsadlers, nur das Hakenkreuz wurde zu einem „normalen“ Kreuz umgearbeitet. Mattle wies darauf hin, wie wichtig ihm die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Geschichte des Hauses sei. Er berichtete auch, dass in Zukunft diese Räume im Rahmen von Führungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Er setzte so einen schönen Kontrapunkt zu den Aussagen seiner Vorvorgänger, die vor Jahrzehnten noch behaupteten, Tirol habe sich während der NS-Zeit „im ununterbrochenen Freiheitskampf“ befunden (Alfons Weißgatterer) oder dass sich in Tirol nur „eine kleine Minderheit fand, die jenem Verführer Gefolgschaft leistete“ (Karl Gruber). Laut Gruber hätten die Tiroler mit dem Nationalsozialismus mehrheitlich nichts zu schaffen gehabt, er „war eben ‚nichtösterreichisch‘ und damit waren seine Scheußlichkeiten auch schon hinlänglich erklärt.“

Als Hintergrund für ein Gruppenfoto schlug Landeshauptmann Mattle ein weniger belastetes Umfeld vor und begleitete uns in sein Büro im alten Landhaus.

Zum Abschluss unseres zeitgeschichtlichen Rundgangs wurde die Geschichte des Befreiungsdenkmals beleuchtet. Von den Franzosen initiiert und mit einer ursprünglich nur in lateinischer Sprache versehenen Inschrift „PRO LIBERTATE AUSTRIAE MORTUIS“ stieß es zu Beginn bei den TirolerInnen auf wenig Gegenliebe und Verständnis. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde durch Veränderungen am Denkmal deutlicher gemacht, dass es sowohl gefallenen alliierten Soldaten als auch WiderstandskämpferInnen gewidmet ist. Durch die Auflistung konkreter Personen, die sich gegen das Gewaltregime aufgelehnt und einen Tirolbezug haben, ist die Intention des Denkmals nun deutlicher abzulesen und die Wertschätzung für diese mutigen Menschen kommt besser zum Ausdruck. (Der Vorschlag, dass die Gitter, welche in Kreuzform die Wappen aller Bundesländer abbilden, geöffnet werden sollten, um das Gedenken nicht einseitig für den christlichen Widerstand zu reklamieren, fand bei den gegenwärtigen PolitikerInnen aber keinen Anklang: Die Tore sind wieder zu.)

Unser Rundgang am Landhausplatz mit einem unerwarteten Abstecher in das frühere und heutige Tiroler „Zentrum der Macht“ war ein Höhepunkt und würdiger Abschluss des sehr abwechslungsreichen zweijährigen Geschichte-Wahlpflichtkurses, der von großem Engagement, Interesse und von intensiver Diskussionsbereitschaft der SchülerInnen geprägt war. Es war mir eine große Freude!

Bettina Harandi-Riedmann
Fotos: Elisabeth Fitsch und eigene Aufnahmen

Nähere Informationen zum ehemaligen Gauhaus und den Denkmälern am Landhausplatz:
https://www.horstschreiber.at/texte/das-befreiungsdenkmal-am-eduard-wal… (Aus diesem Aufsatz stammen auch die Landeshauptmannzitate.)
https://www.eduard-wallnoefer-platz.at/pogromdenkmal/das-pogromdenkmal…
C. Mathies und H. Strobl: Vom Gauhaus zum Landhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte. Innsbruck 2021.